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Ansprache zur Preisverleihung 2024

Dr. Thomas Schmelter vom Komitee Würzburger Friedenspreis bei der Preisverleihung 2024. Foto: Thomas Rohloff<br>

Dr. Thomas Schmelter vom Komitee Würzburger Friedenspreis bei der Preisverleihung 2024. Foto: Thomas Rohloff

Liebe Leute vom Team der Würzburger Woche gegen Rassismus, lieber Barış Yüksel,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde,

manche von Ihnen, auch manche aus der Preisträgergruppe, wussten sicher bis vor Kurzem nicht, dass es einen Würzburger Friedenspreis gibt; dabei ist das heute schon die 30. Verleihung!

Was das Ganze soll, ist schnell skizziert:

1995 war der 50 Jahrestag der Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945. Es gab sehr viele, verschiedene Gedenkveranstaltungen und am 16. März hing, wie jedes Jahr, ein großes Transparent am Grafeneckart mit den Namen der Opfer und dem Schriftzug „Nie wieder Krieg!“ Die Zerstörung Würzburgs war das Ergebnis britischer Bomben, aber auch die Folge eines von Nazi-Deutschland entfesselten Krieges.

Damals fragten wir uns: „Wenn es uns ernst ist mit dem ´Nie wieder´, was können denn wir Bürger tun, dass Frieden in Zukunft bewahrt und Konflikte deeskaliert werden können. Das kann doch nicht nur Aufgabe der großen Politik sein. Was macht denn die Grundlage friedlichen Zusammenlebens aus? Mit dieser Frage konstituierte sich das Komitee Würzburger Friedenspreis um Engagement „von unten“, hier aus unserer Region auszuzeichnen und bekanntzumachen, welches zum Humus der Friedensfähigkeit beiträgt. Und so haben wir im Lauf der Jahre viele Männer und Frauen, Gruppen, Organisationen kennengelernt und ausgezeichnet, die sich hier in unserer Region - mit unterschiedlichsten Engagements - für friedliches Zusammenleben, Integration und die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen eingesetzt haben und zumeist immer noch einsetzen.

Dass es einmal eine 30. Verleihung geben würde, hätte natürlich niemand gedacht…

Dass es jetzt so ist,

  • liegt natürlich erstmal am Komitee Würzburger Friedenspreis selbst. Darin sind fast 30 Gruppen und Organisation aus der Friedens-, Integrations-, Menschenrechts- und Umweltarbeit versammelt, kirchliche Gruppen, Gewerkschaften, einige im Stadtrat vertretene Parteien und viele Einzelpersonen. Der Kreis ist schon bunt gemischt, heterogen und folgt nicht unbedingt einer politischen Linie. Vermutlich würden wir zu den großen politischen Fragen unserer Tage nur schwerlich gemeinsame Resolutionen zustande bringen. Aber wir können uns immer wieder erstaunlich gut darauf verständigen, welches Engagement hier in unserer Region für gesellschaftlichen Zusammenhalt und friedliches Zusammenleben preiswürdig ist.
  • Aber, viele hier im Saal werden das kennen: trotz eines großen Trägerkreises, die praktische Arbeit, die schließlich bis zu einer Preisverleihung führt, wird dann doch meist von einer überschaubaren Anzahl von Engagierten getan. Und es ist schön hier im Saal viele zu sehen, die schon lange dabei sind, manche sogar schon von Anfang an. Denn da ist ja einiges zu organisieren, Mitgliedsbeiträge einzutreiben, Spenden zu akquirieren, vor allem aber sind die eingegangenen Vorschläge zu diskutieren, zu bewerten und die besonders interessanten dann genau zu recherchieren, damit das Plenum des Komitees nach ausführlicher Diskussion dann zur Wahl schreiten kann. Ist die erfolgt, gilt es mit dem aktuellen Preisträger die Verleihungsfeier zu gestalten, die wir gerade erleben.
  • Ein dritter, ganz wichtiger Grund, sind die Preisträgerinnen und Preisträger, die Preisträgergruppen selbst. Ihr Charisma fasziniert uns immer wieder! Wir haben im Lauf der Jahre hier viele tolle, engagierte Menschen kennengelernt, die mit ihrem Einsatz inspirieren, zum eigenen Handeln anstiften und uns mit ihren Auftritten bei den Verleihungsfeiern immer beschwingt nach Hause gehen lassen.

 

1995 – und heute?

Das Transparent „Nie wieder Krieg“ hängt am 16. März nicht mehr am Grafeneckart. Es ist kein konsensfähiger Aufruf mehr. Warum auch?

  • Der Krieg ist ja längst wieder vor unserer Haustür angekommen.
  • Wir erleben wieder einen völkerrechtswidrigen Krieg, den Krieg eines repressiven Regimes, das in kruder Weise vorgibt Faschismus zu bekämpfen!
  • Wir erleben auch den Aufstieg des Rechtsextremismus, der die Unsicherheit und Unzufriedenheit vieler abschöpft und manipuliert;
  • Rechtsextremismus, der Rassismus zum Programm macht,
  • Rechtsextremismus, der auf einem Menschenbild beruht, das Menschen erster und zweiter Klasse kennt!
  • Und wir erleben auch einen Bundesverteidigungsminister, der am 29.10.23 in einem ZDF-Interview zu Kriegstüchtigkeit aufruft:

„Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein: Und die Gesellschaft und die Bundeswehr dafür aufstellen […] Wir brauchen einen Mentalitätswechsel in der Truppe, in der Politik, aber auch gerade in der Gesellschaft.“[1]

Auch gerade in der Gesellschaft!!!

Wo ist da der Platz für Frieden?

Passt das, was wir hier heute tun, noch in die Zeit?

Ist das nicht nur Wohlfühlstimmung einer Sonntagsmatinée?

Können wir uns die Welt noch anders vorstellen?

Oder kommt da gleich unser „innerer Zensor“, unser „innerer Realist“ und fordert „Mentalitätswandel! Alles andere ist Wolkenkuckucksheim!“?

 

Utopisches Handeln

Der Soziologe Oskar Negt hielt 2016 vor dem Hintergrund des schon damals heraufziehenden Rechtsextremismus eine Rede vor Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen und Linken. Aus Anlass seines Todes im Februar ´24 wurde sie erneut gedruckt. Der Titel. „Gegen den autoritären Kältestrom: Lernen wir utopisch zu handeln“.[2] Ein weit über die Bundesrepublik hinausreichender gesellschaftlicher Kältestrom, mache erst die gegenwärtigen rechtspopulistischen Bewegungen möglich. Negt hält über den Alltag hinausweisende Ziele, ja utopische Ziele, für unverzichtbar, denn: „Der gegenwärtige konfuse Zustand der Gesellschaft ist nicht das Produkt utopischer Phantasie, sondern der kollektiv beschädigten Realpolitik.“[3] Es reiche einfach nicht, wenn politische Eliten die Neigung hätten „die Kernsubstanz des öffentlichen Lebens schon dann für ausreichend fundiert zu halten, wenn den kommenden Generationen ein volles Warenlager hinterlassen wird.“[4]

Negt kritisiert die „neoliberale Plünderung sozialstaatlicher Errungenschaften“. In gewisser Hinsicht sei ein kollektiver Lernprozess rückgängig gemacht worden, „die Einsicht nämlich, dass die Grundlage eines friedensfähigen Gemeinwesens auf der Freiheit von Not und Angst besteht.“[5]

Ja, nicht einfach Freiheit – Freiheit von Not und Angst macht friedensfähig!

Negt warnt jedoch vor utopischen gesellschaftlichen Großentwürfen: 

„Verliert sich Utopie jedoch in den globalen Großentwürfen, dann verschwindet selbst die Gerechtigkeitsfrage, die praktisch allen Utopien das Leitmotiv ist. Wenn Utopie das ist, was ich darunter verstehe, nämlich die Erkenntnis einer als unerträglich empfundenen Situation, verknüpft mit dem bewussten Willen, die Verhältnisse zum Besseren zu verändern, dann muss der Substanzbegriff der Utopie aufgelöst werden; aus Krisenherden müssen Handlungsfelder werden.“[6]

 

Und damit bin ich bei der heutigen Preisträgergruppe,

bei Barış Yüksel und dem Team der Würzburger Woche gegen Rassismus.

Sie haben angesichts des heraufziehenden Rechtsextremismus und des sich verschärfenden Rassismus mit dem Format der Woche gegen Rassismus ein eigenes Handlungsfeld eröffnet; ein Handlungsfeld, das an vielfältige rassistische Alltagserfahrungen anknüpft und ermutigt füreinander einzustehen.

Wir werden gleich noch mehr dazu hören.

Wir vom Komitee sind überzeugt, dass dieses Projekt friedliches Zusammenleben fördert.

Wir sind überzeugt eine gute Wahl getroffen zu haben und gratulieren Ihnen herzlich!

Und Sie hier?

Sie hier im Saal?

Vielleicht können ja die heutigen Preisträger und die Idee des Würzburger Friedenspreises dazu beitragen, dass Ihnen das handlungsorientierte utopische Denken nicht abhanden kommt.

Bleiben Sie uns verbunden!

Vielleicht fallen Ihnen schon bald Vorschläge für mögliche Preisträger 2025 ein.

Seien Sie herzlich zum Mitmachen und Wiederkommen eingeladen!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Quellenangaben:

[1] https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/pistorius-wir-muessen-kriegstuechtig-werden-berlin-direkt-100.html. Letzter Aufruf 18.7.24

[2] Oskar Negt: Gegen den autoritären Kältestrom: Lernen wir utopisch zu handeln. Blätter f. deutsche und internationale Politik, 3/2024, S.115-122

[3] ebd. S.121

[4] ebd. S.115

[5] ebd. S.117f.

[6] ebd.S.120

 

Thomas Schmelter, Komitee Würzburger Friedenspreis

Ansprache zur Verleihung des Würzburger Friedenspreises 2024 an Barış Yüksel und das Team der Würzburger Woche gegen Rassismus

Mainfrankentheater Würzburg, Kleines Haus, 21.7.24

 

 

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